„10 Tage unter roter Herrschaft“ - Rückkehr der Reichswehr – Fazit nach unruhigen Monaten
Die Kampftruppen der Roten Ruhrarmee versuchen ständig ihre Strukturen zu verbessern. Die Parole heißt: „Siegen oder Sterben“. Gleichzeitig müssen sie Verletzte versorgen, für Lebensmittel sorgen und Nachschub an Waffen und Munition organisieren. Sie ziehen sich den Zorn der Werksleiter zu, wenn sie Arbeiten an den Zechen und in den Werken verhindern. Die Gefahr von Sprengungen wächst. Ende März sind Plünderungen an der Tagesordnung.
Währenddessen verhandelt Severing in Münster, um die Rote Ruhrarmee unblutig zu entwaffnen. Als die Reichsregierung die Verhandlung mit den Arbeiterausschüssen mit einem Ultimatum beendet, nimmt der kommandierende General in Münster, von Watter, seinen militärischen Generalstabsplan zur Befriedung des Ruhrgebiets in Angriff, ohne den Ablauf des Ultimatums abzuwarten. Für den Niederrhein bedeutet dies: Einmarsch der Reichswehrtruppen.
Die Erleichterung der Bevölkerung über die neue Entwicklung ist deutlich spürbar: „Endlich am Karfreitag Morgen gegen sieben Uhr schreitet die Reichswehr zum Angriff. Der Widerstand der Gegner ist gering das Kampfgetöse entfernt sich rasch. Wir fühlen uns wie von einer schweren Last erlöst. ….“ (Quelle: StA Voerde, Schulchronik Voerde-Stockum).
Münster/ Wesel, 28. März 1920. General von Watter ist in Wesel und zeigt der Presse die eroberten Waffen der Roten Ruhrarmee. „… Das Einschreiten der Truppen südlich Wesel wurde notwendig, um die Zivileinwohner der Stadt vor einer weiteren Beschießung durch die bolschewistische Artillerie zu schützen. …“. Von Schutz für Dinslaken ist nicht die Rede.
Am 31. März greift die Rote Ruhrarmee zwischen Friedrichsfeld und Wesel die nunmehr in Wesel konzentrierte Reichswehr erneut an. Sie erleiden schwere Verluste
Am 1./ 2. April lautet der Befehl an die Reichswehr: Dinslaken ist bis 12 Uhr einzunehmen. Das Bataillon des Regiments 62 und die Kompanie des Lt. Glettenberg werden als Stoßtrupp eingeteilt. Nach der Befehlsausgabe am 1. April, 7.30 Uhr ist Abmarsch von Duisburg nach Eppinghoven:
... „Der Rest der Kompagnie, der nicht Stoßtrupp oder Bedienmannschaft der MGs ist, bildet die Reserve. Das ganz war aus einem Guss, beseelt von einem solchen Draufgängertum, … so das der Kompagnie-Chef (Name) sagte: So etwas habe ich ja kaum während des Krieges gesehen! “
Als wir über Haus Ahr hinaus vorstießen, kam ein Zivilist und meldete mir, an der Straße nach Eppinghoven, ganz in der Nähe sei ein mit Karbolfähnrichen (Sanitätern) und mit Karbolmäuschen (Sanitäterinnen) besetzter Verbandsplatz der roten Armee. Das war „unser erstes Frühstück“!
(Quelle: Stadtarchiv Dinslaken, Slg 68- 409; Kopie-Seite 19)
Aus Sicht der Reichswehr wurde jeder Sympathisant als Angehöriger der Armee gewertet und verfolgt. Frauen wurden von der Reichswehr oftmals als Sanitäterinnen oder zum Kartoffelschälen verpflichtet. So wurden Anfang April 1920 in Dinslaken von der Reichswehr sieben Frauen am Rutenwall trotz Protest einzelner Bürger gegenüber dem kommandierenden Offizier ermordet.
Die Roten Kämpfer werden währenddessen von der Reichswehr immer weiter zurückgedrängt. Bis zum 2. April müssen sie bis zur Linie Walsum-Holten-Schmachtendorf-Königshardt zurückweichen.
Bis zum Mittag des Tages liegt Dinslaken noch unter schwerem Beschuss, danach wird die Stadt durch die Reichswehr eingenommen, befreit – wie es die Presse nennt. Die Roten beklagen allein an dem Tag circa 200 Tote.
Am 2. April kam es zu Lynchmorden in Dinslaken.
Die unruhigen Zeiten, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, dem Friedensvertrag von Versailles und dem Kapp-Lüttwitz-Putsch begonnen haben, enden für Dinslaken und das Ruhrgebiet am 3. April 1920 mit dem Einmarsch der Reichswehr, die von der Bevölkerung als Befreier begrüßt wird.
Der Zivilbevölkerung verblieben Hunger, zerstörte Wohnungen und Häuser, Verluste von Menschenleben sowie weiterhin andauernde Not. Die Toten werden in Hünxe, Voerde und Dinslaken in Massengräbern bestattet. Manche sprechen davon, dass der „Spuk des Bolschewismus vorbei sei“. Doch ist der politische Konflikt damit nicht gelöst.
Der Priester Otto Buchholz wohnte zeitweilig in der Lohberger Kolonie. Er schreibt in Erinnerung an seine Lohberger Zeit: Ich selbst wohnte in der Stube eines Bergmanns und – oft körperlich fühlbar – ist mir deutlich geworden, was Proletarier sein heißt … heute hoffen, morgen Handgranate werfen und übermorgen seine Hoffnungen begraben. (Quelle Erhard Lucas, Arbeiterradikalismus)
In Dinslaken findet die erste Stadtratssitzung am 27. April 1920 statt. Dr. Saelmanns ist wieder als Bürgermeister im Amt. Unter Punkt 2 widmet er dem Stadtverordneten Schön Anerkennung, der bei den Unruhen Anfang April den Tod gefunden hat. Unter Punkt 13 geht es um die Ergreifung von Hilfsmaßnahmen aus Anlass der letzten Unruhen. Die Unruhen und Kämpfe werden mündlich geschildert und die Schäden aufgezählt. Die bereits durchgeführten Maßnahmen werden von der Versammlung gebilligt. Zur Beseitigung der Bau- und Mobiliarschäden sowie für geschädigte Gewerbetreibende werden rund 250 000 Mark bereitgestellt. Für die Festsetzung der Entschädigungssummen werden Kommissionen gebildet. (Quelle: StA Dinslaken, Bestand I-21)
Am 12. April lädt Landrat Moll die angehörigen Gemeinden zur Kreistagssitzung im Mai ein. Auf der Tagesordnung erinnert nichts an die vergangenen Ereignisse. Nach der Sitzung liest Bürgermeister Giesen aus Voerde eine Entschließung vor, in der die Gemeinden dringend eine Entschädigung für die durch die Roten verursachten Schäden fordern.
(Quelle: StA Dinslaken. Sammlung Mölleken, SM 289)
Weitere Details und Informationen sind im Handlungsfeld F Heimat zu finden.