# 23. - 31. März 1920 – Verhandlungen im Ruhrgebiet, brutale Kämpfe und Tote zwischen Emscher und Lippe
Am 20. März wurde der Generalstreik auf Reichsebene beendet, am gleichen Tag zog der Kommandant von Wesel, General Kabisch, alle Freikorps und Truppenteile aus Düsseldorf, Duisburg und Mülheim nach Dinslaken zurück. Bei diesem Rückzug verloren die Regierungstruppen Menschen, Waffen und Fahrzeuge. General von Watter erließ deshalb wenig später (am 22. März) einen Geheimbefehl, dass die Revolution brutal zerschlagen werden soll: Kriegsrecht, standrechtliche Erschießungen statt Haft, Schießbefehl auf unbewaffnete Menschenansammlungen.
Die Rote Ruhrarmee wollte zunächst nach Münster, zum Standort des Wehrbezirkskommandos. Doch angesichts der Entwicklung im Raum Hamborn und Dinslaken, entschließen sie sich, Richtung Wesel zu ziehen und besetzen am 21./22. März Dinslaken. Sie greifen die Reichswehr von Dinslaken, Lohberg, Hünxe und Voerde aus an. Im Straßenkampf in den Ruhrgebietsstädten waren die Arbeiter im Vorteil gewesen, doch in der wenig bebauten Region kann nun die Reichswehr ihre Artillerie erfolgreich einsetzen.
28. März 1920 (Transkription siehe unter Handlungsfeld Heimat)
Es entwickelt sich ein Stellungskrieg, geprägt von Schützengräben und Schützenlöchern. Südlich der Lippe kämpft die Rote Ruhrarmee. Ihr mangelt es zunehmend an Munition und Versorgung. Sie kämpft mit Mörsern und leichter Artillerie, die sie auf dem Feld oder in den Depots von Reichswehr, Einwohnerwehr oder Sicherheitspolizei in Besitz genommen hatte. Nördlich der Lippe lagert die Reichswehr. Ihre Artillerie besitzt Langrohrwaffen, mit denen sie das zivile Gebiet von Voerde über Dinslaken bis nach Lohberg beschießen. Dabei gibt es nicht nur bewaffnete Tote, sondern es werden auch Zivilisten getötet, Männer, Frauen und sogar Kinder. Am 23. März wird auf der Zeche Lohberg der Bergwerksdirektor Sebold auf grausame Weise ermordet.
Ebenfalls am 23. März wird in einer Konferenz in Bielefeld ein Waffenstillstand geschlossen. Doch General von Watters Truppen marschieren weiter vor.
Die Nachrichten in der Hamborner Volkszeitung zeigen die Reaktionen der Entente-Mächte auf die Ereignisse im Ruhrgebiet sowie ab dem 24. März 1920 die Reaktionen auf den Frieden von Bielefeld. Zu den Ereignissen vor Ort kommen nun Zeitzeugenberichte als Quelle hinzu.
# Die Ereignisse im Ruhrgebiet aus Sicht der Entente-Mächte
Frankreich und das Ruhrrevier
Paris, 21./ 24. März 1920. Der Pariser Korrespondent des „Journal de Geneve“, der sich jeden Nachmittag am Quai d'Orsay [Sitz des französischen Außenministeriums seit 1853] über die Tagesereignisse und ihre Auswirkungen belehren lässt, versicherte vor drei Tagen, dass man in Paris die deutschen Meldungen über spartakistische Bewegung für einen Bluff halte, weil die französischen Offiziere im Rheinland die Lage als ziemlich ruhig schilderten. Die deutsche Regierung wolle offenbar durch die Übertreibung der revolutionären Gefahr nur gewisse Zugeständnisse von der Entente erpressen. Am nächsten Tag hielt sich der nämliche Berichterstatter für verpflichtet zu melden, daß man auch in Paris anfange, die Lage im Ruhrgebiet als ernster anzusehen als vorher. Heute stellt das Pariser „Journal“ ... fest, was sich hinter dem Meinungsumschwung verbirgt. Als die ersten Anzeichen der Bewegung im Ruhrgebiet in die Erscheinung traten, schickte die Reichsregierung Truppenverstärkungen und ließ durch die Geschäftsträger in Paris die französische Regierung um die Ermächtigung bitten, diese Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem rechten Ufer des Rheins zu verwenden, das nach dem Friedensvertrag in einer Breite von 50 Kilometern in militärischer Hinsicht neutral bleiben muss. Der französische Ministerpräsident und der Minister des Äußeren Millerand wollte … die Verantwortung für die Ausdehnung der spartakistischen Bewegung nicht übernehmen. Er wollte aber auch der Regierung des Deutschen Reichs keine Zugeständnisse machen in Bezug auf die Verwendung deutsche Truppen im neutralen Gebiet. Herr Millerand antwortete deshalb überhaupt nicht.
Die Alliierten und die RäteherrschaftParis, 26. März 1920. Wie St. Brice im Journal mitteilt, sind die Verhandlungen zwischen den Alliierten über die Zulassung deutschen Militärs in neutrale Gebiete am Rhein auf einen toten Punkt angelangt. England halte zurzeit ein Eingreifen nicht für angebracht. St. Brice ebenso Echo de Paris erklärt, daß als Bürgschaft für den Wiederabzug der deutschen Truppen aus dem Ruhrgebiet Frankreich die Besetzung von Frankfurt am Main und Umgebung habe verlangen wollen. St. Brice erklärt, auch jenseits des Kanals wollten viele Stimmen nur dann Maßnahmen gegen die Deutschen, wenn jene Verpflichtungen nicht hielten.
# Kampfzone Lippe und Wesel
Aus der Umgegend
Duisburg, 22. März 1920. Zur Lage ist auch heute nichts Neues zu berichten. Es bot sich in unserer Stadt dem Auge dasselbe Bild wie am Sonntag. Der Vergleich mit einem Etappenort hat viel für sich. Von fern der Donner der Geschütze und Minenwerfer, ...
Kein Waffenstillstand vor Wesel.
Köln /Wesel, 24. März 1920. Einem Bericht der Köln. Ztg. Aus Wesel, der das Datum vom 24. März trägt, ist folgendes zu entnehmen: - Der Text fehlt.
# Der Frieden von Bielefeld und Reaktionen im Ruhrgebiet ab dem 25. März 1920
Am 23. März lud Reichskommissar Severing Arbeitervertreter, Vertreter der Vollzugsausschüsse, zu einer Konferenz nach Bielefeld ein. Doch der Frieden von Bielefeld, ein Waffenstillstand, der weitere Verhandlungen ermöglichen sollte, wird nicht eingehalten.
Die Vereinbarung umfasst 17 Punkte. Hier folgt ein Auszug:
11. Die sämtlichen Beteiligten verpflichten sich, ihren ganzen Einfluß dahin auszuüben, daß die Arbeiterschaft so schnell wie möglich, zur gewohnten Arbeit zurückkehrt. Die Arbeitgeber sind gehalten, die zurückkehrenden Arbeiter wieder einzustellen.
12. Es erfolgt sofortige Abgabe der Waffen und Munition sowie die Rückgabe des requirierten und erbeuteten Heeresgerätes an die Gemeindebehörde.
13. Alle Gefangenen sind sofort, spätestens bis 27. März mittags 12 Uhr zu entlassen.
14. Bei loyaler Einhaltung dieser Vereinbarungen wird ein Einmarsch der Reichswehr in das rheinisch-westfälische Industriegebiet nicht erfolgen.
Von Watter sollte nur auf schriftliche Anweisung des gesamten Reichsministeriums handeln können!
Nachricht aus der Dortmunder und der Hagener Zentrale der Roten RuhrarmeeDortmund 26. März 1920. Heute mittag wurde von einem Mitgliede des Vollzugsausschusses vom Stadtbalkon aus mitgeteilt, daß die Vollzugsausschüsse der Arbeiterwehr in Rheinland und Westfalen sich vorläufig auf den Boden der Bielefelder Abmachungen stellen und daß der Generalstreik aufgehoben sei. Nach Rückkehr der ausgerückten Truppen hielt ein Führer an seine Mannschaften eine Ansprache, in der er u.a. erklärte, daß die Truppen die ihr gestellten Aufgaben erfüllt haben. Über die Bielefelder Abmachungen würde gegenwärtig noch verhandelt. Die Dortmunder Arbeiterwehr müsse es ablehnen, die Waffen abzugeben. Sie verlange vielmehr 900 revolutionäre Arbeiter unter Waffen zu halten und wünscht, daß weitere Waffen und Munition nach Dortmund gebracht werden. Die Behörden sollten wieder eingesetzt, aber einem Kontrollausschuss der Arbeiter unterworfen werden. Da die Verhältnisse nicht so bleiben könnten, seien neue Kämpfe zu erwarten. Zu Männern wie Severing könne man kein Vertrauen haben…
Die Hagener VerhandlungenEssen, 27. März 1920. Das „Ruhrecho“, das Blatt der Kommunistenmeldet, im Anschluß an die gestrigen Hagener Verhandlungen fuhren drei Delegierte nach Mülheim-Ruhr zu den militärischen Leitern der roten Truppen. Nach mehrstündigen Beratungen kam folgendes Ergebnis zustande: Die militärischen Befehlshaber stehen auf dem Standpunkt, daß weitergekämpft wird und daß nur die Waffen entscheiden werden. Wir kämpfen weiter und sind zu Verhandlungen bereit während des Kampfes. Die Verhandlungen können sofort in Mülheim-Ruhr aufgenommen werden. Delegierte der Front können gemeinsam mit dem Zentralrat die Verhandlungen führen. Die Vertreter der Front verlangen über die Bielefelder Vereinbarungen hinaus die völlige Entwaffnung und Auflösung der Reichswehr und Errichtung einer Volkswahr aus Arbeitern an die alle Waffen abzugeben sind. Sollen die bevorstehenden Verhandlungen ergebnislos bleiben, so wird der Generalstreik über ganz Deutschland erneut entbrennen.
Zur Lage. Die Konferenz des Zentralrates stellt Bedingungen.
Hagen, 27. März 1920. Im Parkhause hatten sich heute vormittag 150 Vertreter sämtlicher sozialistischer Parteien des Rheinlandes zusammengefunden, um zu dem Bielefelder Abkommen Stellung zu nehmen. Einstimmig war man der Ansicht, daß die Bielefelder Beschlüsse eine Basis bilden, auf der weiter gebaut werden könne, daß aber die Regierung die Erklärung ihrer Abgesandten auch als verbindlich annehmen müsse. Die anwesenden Vertreter des neu gebildeten Zentralrates beschlossen in einer geheimen Beratung, der Regierung in Berlin folgende Punkte vorzulegen:
1. Die Arbeiterschaft behält vorläufig ihre Waffen.
2. Die Bildung von Arbeiterwehren muss in Angriff genommen werden.
3. Die Front der Kampftruppen bleibt bestehen, jedoch wird eine Demarkationslinie nach Vereinbarung mit beiden Seiten getroffen.
4. Der Waffenstillstand, der bisher nur von Teilen der Kampftruppen beachtet wurde, wird für beide Teile für verbindlich erklärt.
5. Die hier gestellten Bedingungen werden auf das ganze Reich ausgedehnt.
6. Falls die Regierung nicht diesen Forderungen nachkommt, wird der Generalstreik von neuem proklamiert.
Die Konferenz erklärte sich mit den Beschlüssen des Zentralrates einverstanden und beschloss, drei Vertreter des Zentralrates zu Verhandlungen nach Mülheim/Ruhr zu senden, um die dort noch kämpfenden Verbände zur Annahme eines Waffenstillstandes auf Grund dieser Verhandlungen zu bewegen. …
Essen und Hagen erkennen das Bielefelder Abkommen anEssen, 27. März 1920. Der hiesige Vollzugsrat der revolutionären Arbeiterschaft hat sich auf den Boden des Bielefelder Abkommens gestellt und erläßt eine Reihe von Verfügungen, die bezwecken dem Ausnahmezustand ein Ende zu machen. So ist u.a. ab heute auch die Staatspolizei wieder in Dienst getreten.
Münster, 27. März 1920. Dem Reichskommissar ist folgende Erklärung des Aktionsausschusses in Hagen zugegangen. Der Aktionsausschuss in Hagen erkennt die von der Waffenstillstandskommission in Bielefeld aufgestellten Richtlinien an. Sämtliche Aktionsausschüsse werden aufgefordert
1. Eine gleiche Erklärung abzugeben.
2. Für die Durchführung dieser Bestimmungen Sorge zu tragen.
3. die wilden ungesetzlichen Beschlagnahmungen, insbesondere von Lebensmitteln im Interesse der Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung unbedingt zu unterlassen.
Nur so wird es möglich sein, weiteres Blutvergießen zu verhindern und das unendliche Unheil von dem Industriegebiet und dem ganzen Reiche abzuwenden.
Gez.
Berlin, 27. März 1920. Wie das Tageblatt meldet, hat die Gewerkschaftskommission gestern Abend eine Deputation zum Reichspräsidenten gesandt, eine andere zum preußischen Staatsminister geschickt, um wegen der unhaltbaren Zustände im Ruhrrevier vorstellig zu werden.
Vor den Artikeln aus Hagen und Essen finden sich folgende Nachrichten:
- Arbeiter und Bürger des Ruhrbezirks! Wir rufen Euch zur Besonnenheit. Kehrt zurück zur Arbeit, denn nur so schützt ihr Freiheit und Ordnung. Die Reichsregierung: Bauer.
- General von Watter erklärt für die ihm unterstellten Offiziere, daß sie fest zur verfassungsmäßigen Regierung stehen.
# Verhandeln oder den Kampf im Raum Hamborn-Dinslaken fortführen?
Aufruf an die Bevölkerung Groß-Duisburgs28. März 1920. Die rote Armee fordert stürmisch die …führung des Kampfes gegen alle reaktionären Gewalten, sowohl als auch gegen das System Ebert-Bauer.
Die Stadtverwaltung und ein Teil der Mitglieder des Kompromiß-Vollzugsrates stellen sich auf den Boden der Bielefelder Beschlüsse, welche den sofortigen Abbruch des Kampfes verlangen. Dies bedeutet nichts anderes, als die Wiedereinführung …
Der Umschwung in Duisburg Duisburg, 29. März 1920. Über den Umschwung, der sich Gestern nachmittag in Duisburg vollzog, werden unsere Leser am besten durch den Aufruf des neuen Exekutivausschusses unterrichtet. Wir haben nichts hinzuzufügen, umsoweniger als über die Entwicklung der Dinge keine Auskunft zu erhalten war. Wie es heißt, sind die Unabhängigen und Mehrheitssozialisten wieder aus dem bisherigen Wahlausschuss …
Kein Verhandeln mit einer linksstehenden Arbeiterregierung 28. März 1920. Aus Paris meldet uns unser Korrespondent: Auf Veranlassung des obersten Rates sind - kein weiterer Text
# Dinslaken: Zwischen Befreiung und kommunistischer Herrschaft?
Dinslaken ist mit seinen zwei Krankenhäusern Etappe der Roten Ruhrarmee. Verwundete werden von der Front nach Dinslaken transportiert, häufig mit requirierten Transportmitteln. Als Hauptquartier bezieht die Rote Armee in Dinslaken das Realgymnasium, das heutige Theodor-Heuss-Gymnasium. Landrat Moll und Bürgermeister Max Saelmans werden ihrer Ämter enthoben, es wird ein Vollzugsrat gebildet, der aus Bergmännern und Arbeitern besteht und die Kommunalpolitik bestimmt.
Gut Bärenkamp wird geplündert und zerstört, Stallungen in Brand gesetzt. … „Der Vollzugsrat versuchte einer solchen Entwicklungen entgegen zu wirken, indem er Aufrufe wiederholt bekannt gab, dass eigenmächtiges Requirieren auf das Strengste verboten sei. …“ (Dahlmanns, S. 59 ff)
Die Bevölkerung leidet weiter unter Hunger. Die Lebensmittel sind vorrangig für die Truppen (Reichswehr sowie Rote Ruhrarmee) aufzubringen. Es sind zivile Tote zu beklagen, unter ihnen Bergwerksdirektor Sebold. Die Industrie liegt lahm, es wird geraubt und geplündert. An und in Gebäuden entstehen große Schäden.
Mangel an Nahrung und Munition und eine wachsende Zermürbung durch den Stellungskrieg an der Lippe wirken sich auf die Moral der Kämpfenden der Roten Ruhrarmee aus. Eine beginnende Zersetzung wird allmählich sichtbar. Später kommt es zu Desertationen. Die ursprünglichen Kampfgemeinschaften verändern sich in ihrer Zusammensetzung sowie im Zusammenhalt. Arbeiter wenden sich ab und kehren nach Hause zurück.
Aus den Niederrheinischen Nachrichten von Anfang April 1920 (StA Dinslaken, Slg. Möllecken)
Transkription und weitere Details zu den Ereignissen siehe im Handlungsfeld Heimat