Bürgerkrieg vor der eigenen Haustür - Überlegungen zur Sprache und zur Aktualität des Themas
Sprache und Quellenkritik
# Wie wurden die Menschen informiert? Die Presse und deren Quellen
Liest man Originalquellen zum Thema Märzunruhen 1920 in der Tageszeitung aus Berlin, aus Dort-mund oder aus Dinslaken, sowie auch Bücher, verfasst in den Anfängen der Weimarer Republik, fällt die oft unversöhnliche, herabsetzende Sprache gegenüber Andersdenkenden auf. Sie ist ver-bunden mit der hohen Bereitschaft, Gewaltanwendung zu akzeptieren, dies spiegelt sich immer wieder in den Berichten der Tageszeitungen.
Die wichtigste aktuelle Informationsquelle der Menschen war in den 1920er Jahren die Tageszei-tung. Es gab über 2000 Zeitungen, die oftmals parteinah agierten oder von den Parteien herausge-geben wurden. Um eine Zeitungsausgabe zu realisieren, wurden von Agenturen Nachrichten dazu-gekauft, oftmals als Matern, als direkte Druckvorlage. Eine Analyse von 16 Tageszeitungen für den Zeitraum Mitte März bis Mitte April 1920 zeigt, dass die Tageszeitungen ihre Informationen sowohl von Nachrichtenagenturen (WTB, TU) als auch direkt von der Reichswehr erhielten. Überregionale Artikel wurde nach wenigen Tagen von der örtlichen Presse - zum Teil wörtlich - übernommen.
Das Hugenbergsche Presseimperium setzte in den 1920er Jahren den Slogan: Wir verkaufen keine Nachrichten, wir liefern Artikel. Das Wolff´sche Telegraphenbüro (WTB) galt zu Beginn der Weima-rer Republik als „offiziös“, d.h. regierungsnah. Die Telegraphenunion (TU) als eher neutral. Nur wenige konnten sich eigene Korrespondenten leisten, die dann auch noch kritisch und aus eigener Recherche Informationen anboten.
Die Analyse verschiedener Tageszeitungen hinsichtlich der Art und Weise der Positionierung einer Nachricht (Leitartikel aus Seite 1 bis Agenturnachricht in der Rubrik auf Seite 3) ergibt einen ersten Eindruck zur politischen Haltung der Redaktion. Diese ist zum Beispiel bei der Hamborner Volks Zei-tung klar erkennbar, wenn es um das Thema „Arbeiteraufstand“ geht, oder bei der Bewertung von Gewalt durch Soldaten gegen Zivilisten. Standrechtsurteile aus Duisburg und Wesel wurden ohne Kommentar oder Hintergrund-Informationen veröffentlicht.
Es war eine nur kurze Phase des Arbeiterwiderstands, aber ein Baustein in der deutschen Ge-schichte der zur Grundlage unserer Gegenwart wurde.
Im Folgenden werden Beispiele herangezogen, um dem Leser den Zeitsprung zurück zu erleichtern.
Eigener Drahtbericht der HVZ ...
Die HVZ bezieht sich auf halbamtliche Mitteilungen ...
Dass Sprache außerdem verrät wie die Ereignisse gedeutet werden, lässt sich mit folgender Mel-dung belegen: Hier wird erstmals die Rote Ruhrarmee als Organisation der lokalen Räteregierungen im Industriegebiet in der HVZ erwähnt. Bisher wurde von Rotgardisten und Arbeiterbataillonen gesprochen:
Ein Aufruf des Militärbefehlshabers. Münster, 18. März 1920. Das östliche Ruhrgebiet ist in der Hand der Räteregierung. Diese zieht, laut Aufruf des Militärbefehlshabers, wehrpflichtige Personen zur Bildung der Roten Ruhrarmee ein. … Um diesen Aufstand im östlichen Industriegebiet zu unter-drücken, müssen die Reichswehrtruppen aller Waffengattungen durch Zeitfreiwillige unterstützt werden. Wer sich zu diesem Zweck zur Verfügung stellt, soll sich in der Kaserne melden.
# Die Quelle „Schulchronik“ – Anregungen zur Quellenkritik
Zeitungsbericht über die Erinnerungen von Zeitzeugen, 50 Jahre nach dem Ereignis.
Eine weitere zeitgenössische Quelle sind Schulchroniken. Hier spricht der Verfasser der Chronik manchmal unmittelbar, manchmal mit zeitlichem Abstand. Schulchroniken vermitteln die Sicht des Lehrers als Zeitzeugen und sein Verständnis vom politischen Geschehen im deutschen Reich und im Rheinland zu Beginn des Jahres 1920. Als Schulleiter oder Lehrer hat der Autor der Schulchronik eine wichtige, auch meinungsbildende Funktion in seinem Bezirk, er ist ein Vorbild in der Gemein-de. Ähnliches gilt auch für weitere Quellen wie Tagebücher, zeitnahe Veröffentlichungen oder auch späte Erinnerungen. Sie alle sind zu beleuchten und kritisch zu bewerten vor dem Hintergrund der Fakten sowie der Erfahrung und der Einstellung der schreibenden Person.
Der Auszug aus der Schulchronik der Bergschule (StA Dinslaken, S 10, S. 79-80) gibt einen Eindruck, andere Schulchroniken haben andere Tendenzen, eine andere Sprache. Zu finden sind sie unter dem Button Archive/Aufsätze/Quellen.
Karfreitag 1920 ist es, 9 Uhr morgens. „Befreit von einem furchtbaren erstickenden Drucke, atmet die Bevölkerung von Oberlohberg, nach diesen Schreckenstagen, nach dieser kommunistischen Ge-waltherrschaft wieder auf.
Zähneknirschend hat die rheinisch-westfälische Industrie sich der Tyrannei beugen müssen, weil unheilvoller Einfluß der sozialdemokratischen Berliner Regierung jeder tatkräftigen Abwehr sich entgegensetzte. Berlin, Berlin, o unheilvolle Stadt, du Stadt die Deutschlands Untergang bereitet, du Stadt in dem jeder Putsch möglich ist. Kapp-Lüttwitz, die ostelbischen Junker sie waren erledigt und dann lodert es hier im Westen auf.“ Quelle: Schulchronik der Bergschule (StA Dinslaken, S 10, S. 79-80)
# Die Sprache von Presse und Heimatforschern nach 1950
Doch nicht nur die Berichterstattung und Rezeption der Märzunruhen in den 1920er Jahren ver-dient eine sehr kritische Betrachtung. Auch 35 und mehr Jahre nach den Märzunruhen/dem Bür-gerkrieg ist die Darstellung noch rechtsorientiert und ohne Neubewertung. Dies ändert sich erst Ende der 70er Jahre mit einer neuen Sicht auf die Quellen und ihre Bewertung durch Erhard Lucas und seine wegweisende Arbeit zur Märzrevolution 1920. Lucas ging von einem „linken Erkenntnis-interesse“ aus, das er durch Quellenforschung wissenschaftlich absicherte. Eine wichtige Fragestel-lung bei ihm ist, warum die Niederlagen der Arbeiterbewegung von ihren überlebenden Akteuren kaum reflektiert wurden. Er ging davon aus, dass die Arbeiterbewegung verloren hatte, noch ehe der organisierte Widerstand endgültig zerschlagen worden war.
Einige Beispiele für das öffentliche Gedenken im Raum Dinslaken-Voerde-Hünxe dienen hier zur Dokumentation, weitere Beispiele ab 1955 findet sich unter dem Button Archive/Aufsätze/Quellen unter anderem mit einer Presseauswahl für 1955, 1969 und 1970.
Quelle: Stadtarchiv Dinslaken, Slg Dittgen 68 -412
Heimatkalender 1970. Quelle: Z%20+Dittgen_3x%20aus%20DIN/1a%20%20HK1970%20dittgen%20buergerkrieg%20im%20land%20s90.pdf (18.03.2020)
# Humor bei einem bedrohlichen Thema?
Die HVZ stellt in ihrer Ausgabe vom 13.03.1920 die Frage: Was ist Kommunismus? Es folgt ein Ge-dicht, das zeitgleich mit dem Rechtsputsch am 13. März in der Tageszeitung zu finden ist. Es ist - wohlgemerkt- ein Gedicht aus Zeiten der Pariser Kommune von 1871. Die Aufmerksamkeit der Zeitungsleser wird damit auf die Gefahren von Links gelenkt, auf die Gefahr des Bolschewismus aufmerksam gemacht, - der aber zu der Zeit weder Größe und Bedeutung noch die Mittel zum Um-sturz hatte. Das Gedicht ist eingebettet in die Rubrik „Die lustige Ecke“.
# Gedenken - Heldengedenken
Auszug aus dem Aufsatz von Rüdiger Gollnick „Heldengedenken - Mentalitätsstrukturen und Inszenierungen“ (S. 167)
Mit dem Thema - Helden, Gedenken, Soldaten – hat sich im Jahr 2008 Rüdiger Gollnick in seinem Aufsatz „Heldengedenken - Mentalitätsstrukturen und Inszenierungen“ befasst, er ist 2008 im Buch Nationalsozialismus in Dinslaken und seine Nachwirkungen erschienen. Dem-nach bezog sich der Begriff Helden ursprünglich ausschließlich auf Soldaten. Der Aufsatz behandelt zwar vorwiegend den Begriff „Helden“ im Nationalsozialismus, aber nach Gollnick erfolgt das „Propagieren der Heldenhaftigkeit und das fortwährende Gebären von militärisch-aggressiven Helden ... seit den Jahren der französischen Revolution ...“ Eine Tradition von Heldenritualisierungen und Heldengedenken hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Struktur bereits verfestigt – dies zeigte sich z.B. am neu errichteten Kaiser-Wilhelm Denkmal in Dinslaken, aber auch in der Vergabe von entsprechenden Straßennamen im Stadtgebiet.
Gedenksteine für die Märzgefallenen in Hünxe und Dinslaken.
Vor dem Hintergrund des neu entstehenden Helden-Gedenkens nach dem ersten Weltkrieg (Soldatenfriedhöfe, Gedenksteine, Gedenktafeln) ist es eine bisher ungeklärte Frage, wie das Gedenken an die gefallenen Arbeiter-Soldaten von 1920 entstehen und über lange Jahre ge-pflegt werden konnte und wie in diesem Zusammenhang die Gedenksteine in Dinslaken und Hünxe zu bewerten sind. Helden waren die kämpfenden Arbeiter in den Augen der Bürger sicherlich nicht.
Aktualität des Themas Märzunruhen/Bürgerkrieg 1920
# Geschichte vor der Haustür - die Märzunruhen 1920 im Raum Dinslaken
In den 1970er Jahren schnitten junge Menschen alte Zöpfe ab, entdeckten vorhandene Werke neu und bewerteten sie kritisch. Die Aktualität des Themas Märzunruhen/Bürgerkrieg zeigt sich nicht nur in der historischen Forschung zum Gedenkjahr 2020, sondern auch darin, dass sich Schülerinnen und Schüler wiederholt regional mit dem Thema befassten. Zum Bestand der Quellen über die Märzunruhen 1920 im Stadtarchiv Dinslaken gehören vier Schülerarbei-ten aus dem Zeitraum von 1977 bis 2017, Schüler arbeiteten im Rahmen des Unterrichts das Thema unter verschiedenen Aspekten auf. Im Stadtarchiv liegen vier Facharbeiten vor.
1977 ergriff Joachim Kersken diese Gelegenheit, und befasst sich als erster Schüler mit dem Thema Märzunruhen 1920. Der Schüler der 11. Klasse nutzte die bisherige Literatur, brachte neue Sichtweisen ins Spiel und legte eine klar formulierte Bewertung vor.
2001 untersuchte Janosch Steuwer die Ereignisse vor ca. 80 Jahren vor der Haustür in Bruck-hausen untersucht, Auslöser war seine Betroffenheit.
Die Gruppenarbeit aus Geldern aus dem Jahr 2008 stellt die Frage nach Heldentum, insbe-sondere im Zusammenhang mit dem Denkmal der Gefallenen der Märzunruhen. Es wurden die Handlungen der Reichswehrsoldaten mit denen der bewaffneten Arbeiter der Roten Ruhrarmee verglichen. Beiden handelnden Gruppen konnten die Gymnasial-Schülerinnen der 10. Klasse kein heldenhaftes Handeln zugestehen. Die undatierte Arbeit (vermutlich 1999) von zwei weiteren Schülern befasst sich mit dem Lebensstandard der Menschen während der Ruhrkämpfe.
Eine weitere Schülerarbeit, allerdings aus Essen-Heißen, findet sich im Internet unter https://gymnasium-heissen.de/index.php/2017/10/11/facharbeit/, 18.03.2020. Sie ist anonym und es fehlen bibliographische Eckdaten, vermutlich stammt sie aus dem Jahr 2017. Diese Arbeit kommt in der Schlussbetrachtung (Kapitel VI) zu dem Ergebnis, dass die Ereignisse in der Geschichtsschreibung und ebenso in der öffentlichen Wahrnehmung sehr lange von der NS-Zeit im Sinne ihrer eigenen Erinnerungskultur geprägt wurden: Freikorps wurden „glorifiziert“, die Rote Ruhrarmee diffamiert. Hier ein Auszug: „Der Ruhraufstand im März 1920 scheint selbst im Ruhrgebiet zu den vergessenen Ereignissen der Geschichte zu gehören. … Tatsächlich ist selbst im Bewusstsein der historisch interessierten Personen meines Umfelds damit keine Erinnerung verknüpft, z.B. im Geschichtsunterricht davon gehört zu haben. …. Bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema stellte sich aber heraus, dass in historischen Fachkreisen der Ruhraufstand sehr wohl ein Thema ist. … Häufig wird die Rote Ruhrarmee als Synonym für brutale, gewalttätige Ausschreitungen gegen Zivilisten einerseits und gegen die Reichswehr- bzw. Freikorpstruppen andererseits einseitig dargestellt. Dies verwundert nicht, da die Nationalsozialisten das Gedenken an die aufständischen Tage im Ruhrgebiet den gefallenen Reichswehr- und Freikorpssoldaten widmeten und die gefallenen Arbeiter keine Erwähnung fanden.“