Das Leben am Niederrhein / 1900 - 1920

Die Forderung nach einer Auslieferung des ehemaligen Kaisers aus dem Exil berührte auch die Dinslakener Bürger: sie waren traditionell konservativ gesonnen und hingen an Kaiser Wilhelm. Nicht zuletzt schmückte sich Dinslaken seit den 1890-er Jahren mit einem Kaiserdenkmal vor der St. Vincentius Kirche.

Das Landstädtchen Dinslaken wuchs durch Walzwerk und Zeche zur Industriestadt, die Einwohnerzahl wuchs stark. Um 1900 hatte der neue Stadtbaumeister Nottebaum in der Stadtentwicklung Grundsätzliches zu leisten. Mit seinem Motto „Dinslaken -Stadt im Grünen“ wollte er den Wunsch der Bürger erfüllen, den Charakter der Stadt zu erhalten. Dabei half ihm der 1911 gegründete Heimatverein, in dessen Vorstand verschiedene Stadtverordnete saßen.

Nottebaum hatte die Weitsicht, die Anforderungen der neuen Zeit (zum Beispiel hinsichtlich mehr Verkehr oder Flächen für Industrieansiedlung) durch eine übergeordnete Planung zu ermöglichen.

 

# Die neue Welt der Frau zu Beginn der 1920er Jahre

In der Weimarer Republik veränderten sich die überlieferten Geschlechterrollen allmählich: Die rechtliche Gleichstellung war grundsätzlich gegeben, Individualität und Freiheit wuchsen. Hatten die drei großen „K“ – Kinder Küche Kirche- noch die Aufgabe der Frauen in der Kaiserzeit geprägt, so durfte die „neue Frau“ nun ihr Interesse an Konsum, Kino und Kultur ausleben. Das neue Verständnis der Frauen zeigte sich in Mode und Frisur: Haare und die Saumlänge der Kleider wurden kürzer. Politisches Interesse und Engagement entwickelten sich allmählich, das Frauenwahlrecht und die Arbeit der Frauenbewegungen zeigten zwar noch erst verhalten, aber dennoch Wirkung. Allerdings blieb die nichtberufstätige Ehefrau das gesellschaftliche Ideal.  

 „Das Illustrierte Blatt“ rief in der Januarausgabe 1919 Frauen dazu auf, ihr Wahlrecht wahrzunehmen.

Siehe dazu Handlungsfeld Politik: „Kommunalwahl 1919 in Dinslaken: Erste Frau im Stadtrat

 

Quellen zum Weiterlesen:

https://geschichtsbuch.hamburg.de/epochen/weimarer-republik/frauen-in-der-weimarer-republik/

http://www.bpb.de/apuz/268362/grundsaetzlich-gleichberechtigt-die-weimarer-republik-in-frauenhistorischer-perspektive?p=all

 

Rundschau

# Die Frauenwelt von 1920 in der Hamborner Volkszeitung (zentrumsnah)

Auszugsweises werden aus der Sonntagsausgabe vom 15. Januar 1920 einige Beiträge hier wiedergegeben:

„Rundschau“: Weibliche Referenten in Ministerien

HVZ vom 15.Januar 1920. …. Im Wohlfahrtsministerium von Preußen sind jetzt zwei Posten für Frauen besetzt ... Im Reichspostministerium ist eine Vertreterin als Referentin für Beamtinnenfragen angestellt.  ...

RundschauDie Aufhebung des Lehrerinnen-Zölibats in Bayern steht bevor

HVZ vom 15. Januar 1920:  … Ähnlich wie in Preußen…  ist die (bayerische) Landesregierung bereit, mit der Vorlage eines neuen Gesetzes gemäß Artikel 128 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs …  alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte ... aufzuheben.

RundschauKatholische Frauenkonferenz zur Rettung der Familie im Anschluss an den Reichsparteitag des Zentrums

HVZ vom 26. Januar 1920: … Die Abgeordnete Hedwig Dransfeld, Vorsitzende des kath. Frauenbundes, begrüßt die Teilnehmer… und führt aus … das Ideal der Ehe sei die Treue ... und damit das Festhalten am Begriff der Einehe. Die Frau muss eine Heldin sein. ... Fehlt der Heroismus, dann sei unser ganzes Streben vergebens. ... Danach:  … Information zum Entwurf des Filmzensurgesetzes ...  Betonung der außerordentlichen Wichtigkeit der Vorlage… .

 

# Montanstadt Dinslaken – zwei große Werke und zwei unterschiedliche Belegschaften

Dinslaken hatte 1920 zwei große Arbeitgeber: seit 1898 das Walzwerk im Stadtzentrum und seit 1905 die Zeche in Lohberg. Die Stimmung im Jahr 1920 an beiden Standorten unterschied sich deutlich. Gemeinsam ist ihnen die Unternehmerpersönlichkeit August Thyssen.

Das Walzwerk Dinslaken war eine Abteilung der Bruckhausener Hütte der Gewerkschaft Deutscher Kaiser. Mit Julius Kalle und Aloys Fassel gab es weitblickende und innovative Werksleiter vor Ort. Der Ausbau des Betriebs ging zügig voran und die Produktion lief zufriedenstellend. Die Arbeiter im Walzwerk waren nach 1918 überwiegend in der MSPD organisiert.

1905 erfolgte die Gründung der Gewerkschaft Lohberg, die zur Gewerkschaft Deutscher Kaiser in Hamborn gehörte. Am 1. Februar 1909 wurde der erste Kübel Kohle gefördert, doch erst 1914 waren nur noch 10% der geförderten Menge für den Eigenbedarf nötig. Von 1912 bis zum 22.3.1920 war Heinrich Sebold (Grubeninspektor) Direktor der Zeche Lohberg. Die Arbeiter auf der Zeche waren häufig Anhänger der KPD.  Die Zechenkolonie Lohberg entwickelte sich seit der Novemberrevolution 1918 zu einer Hochburg der Linksradikalen.

Für weitere Informationen siehe Michael Dahlmanns, Der Aufstand. Dinslaken 1988, oder Inge Litschke, Im Schatten der Fördertürme. Duisburg 1993.

 

# Lohberg: Alltag und Kommunismus

Für die Bergarbeitersiedlung und die Zeche Lohberg folgte aus den lokalen Entwicklungen seit der Novemberrevolution von 1918 ein Ruf, der weit über das Ruhrgebiet hinausging. Lohberg galt als Hochburg der Kommunistischen Partei. Die politische Vorherrschaft der Kommunisten in Lohberg wurde in der Reichstagswahl vom Juni 1920 bestätigt.

Siedlung und Zeche Lohberg liegen abseits der Stadt, isoliert im ländlichen Umland an der Straße von Dinslaken nach Hünxe. Für die Bergarbeiter wurde mit der Gartensiedlung Wohnraum geschaffen. Somit spielte sich Leben und Arbeit in dieser Zechenkolonie weitab vom Stadtleben, aber auch vom landwirtschaftlichen Alltag ab. Lohberg führte ein ausgeprägtes Eigenleben, in dem Politik eine starke Rolle spielte (siehe Lohberger Proklamation vom März 1920). Die Zeche stand auf einem ergiebigen Kohlefeld, wuchs mit neuen Förderanlagen und hatte somit auch versorgungspolitisch eine hohe Bedeutung. Eine Karte der Zechen im Westen des Ruhrgebietes aus dem Jahr 1948 verdeutlicht die Insellage von Lohberg.

Ein Zeitzeuge berichtet über die Zechenkolonie Lohberg nördlich von Dinslaken: „Im Volksmund hieß es hier in Voerde „Mein Gott, das rote Lohberg, trotzdem da auch ehrliche Menschen wohnten und ihr Brot verdienten, aber es waren eben die Roten“ (Quelle: Dahlmanns /1988, S. 34/35).

Andere Zeitzeugen: „Lohberg war schon ein Pflaster für sich. ... Bei so vielen Kommunisten, wie in Lohberg waren, mussten auch die Katholiken Kommunisten sein. Die gingen am Fronleichnamstag mit der Prozession und sonst sagten sie „Heil Moskau“. So was Rotes wie Lohberg kann man sich gar nicht vorstellen ...“   „In der Volksschule konnte es kein Lehrer wagen, uns gemischt in die Klasse zu setzen.“

Der evangelische Pfarrer Schmidt wählte für diese Situation in seine Memoiren den Begriff „Roter Spuk“. Doch ob Spuk oder Realität, der Alltag blieb bis in die 1930er Jahre durch die politischen Auseinandersetzungen geprägt. Dem KPD-Versprechen, Russland sei für Arbeiter ein Paradies, folgten einige; einige kehrten enttäuscht zurück nach Lohberg.

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Bild1:(Stadtarchiv Dinslaken/Heimatkalender)

Die Karte (Bild3) von 1948 zeigt die isolierte Lage der Zeche Lohberg, sowohl hinsichtlich der Stadt Dinslaken, als auch hinsichtlich der anderen Zechen im westlichen Ruhrgebiet.

Quellen:

Michael Dahlmanns, Der Aufstand. Dinslaken 1988

Litschke, Inge: „Im Schatten der Fördertürme: Kindheit und Jugend im Revier; die Bergarbeiterkolonie Lohberg 1900 -1980 (1993). Duisburg 1993 (ISBN 3-87463-186-9)

Bock, Hans Manfred, „Die "Rote Armee" der Ruhr-Arbeiterschaft im Anschluss an den Kapp-Putsch März/April 1920“ (1969); http://www.trend.infopartisan.net/trd0200/t200200.html

Quelle Zechenkarte: Stadtarchiv / Karten S70/Nr. 122: NRW-Atlas - Ministerpräsident des Landes NRW, Landesplanungsbehörde 1949-1954; Blatt zu Zechen (Stand 1948)

 

#Gründung des "Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk"

Um die Reparationsforderungen aus dem Versailler Vertrag erfüllen zu können, wurde als Zusammenschluss der Gemeinden und Kreise des Ruhrgebiets der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) geplant. Außerdem erforderte die starke Entwicklung des Ruhrgebiets zunehmend eine gemeinsame Regelung übergeordneter Fragen wie die Vermeidung einer Zersiedelung des Ruhrgebiets, die Definition von Grünzügen, aber auch die Verkehrswege-Planung waren zu organisieren. Dies musste per Gesetz im Einvernehmen mit dem Reich, dem Staat Preußen und den örtlichen Verwaltungsbehörden geregelt werden.

1920 wurde der erste Gesetzentwurf vorgestellt. Demnach sollten 150.000 Bergleute und etwa 600.000 weitere Menschen im Ruhrgebiet zusätzlich angesiedelt werden, um den Ruhrbergbau zu unterstützen.

Die langjährige Mitarbeit des Dinslakener Stadtbaurats Nottebaum im Technischen Beirat des Verbandes brachte Dinslaken viele Vorteile, so die Unterstützung bei der Planung und Realisierung der Verbandsstraße (heutige Bundesstraße 8).


Ruhrgebiet, 1. Feb. 1920: Grundlagen zur überregionalen Zusammenarbeit im Ruhrgebiet

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#Nachrichten aus dem Kreisgebiet Dinslaken

Dinslaken, 12. Februar 1920. Weiterführung der Elektrischen Bahn (Straßenbahn) Dinslaken-Lohberg - Bohrturm für neuen Schacht auf dem ehemaligen Garnisons-Schießplatz errichtet. Mehr als 200 Arbeiterhäuser bezogen – Rhein-Hochwasser in Walsum, Eppinghoven und Mehrum richtet großen Schaden an.

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# 19. März 1920 - Kreis Dinslaken - Alle Versammlungen verboten. Das Militär schießt

Kreis Dinslaken / Dinslaken. 19. März 1920. Der Militärbefehlshaber in Dinslaken-Lohberg erlässt folgende Bekanntmachung:

„Jegliche Ansammlungen, Versammlungen unter freiem Himmel sowie Demonstrationszüge sind strengstens untersagt. Andere Versammlungen bedürfen der Genehmigung des Militärbefehlshabers Lohberg.

Das Betreten der Straßen nach 9 Uhr abends ist bis auf weiteres verboten. Arbeiter, die Notstandsarbeiten ausführen, müssen im Besitze eines Ausweises des Militärbefehlshabers sein.

Wird einer dreimaligen Aufforderung des Militärs nicht Folge geleistet, wird rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht.“

*Quelle: Hamborner Volkszeitung, 19. März 1920

 

# Das Bürgerliche Leben der Marie Feesche in Zeiten des Krieges*

hf f 03Marie Feesche (*1871 - 1950) war Tochter des Verlegers Heinrich Feesche und eine deutsche Schriftstellerin. Ab 1904 veröffentlichte sie literarische Werke im Verlag ihres Vaters.

Marie Feesche war Verfasserin von erzählenden Werken und Gedichten. Ihre Gedichtbände, u.a. Vom Leben, Lieben und Leiden, Hannover 1920, erschienen in hohen Auflagen (von dem Titel "Himmelsglanz" wurden bis Ende der Fünfzigerjahre über 85000 Exemplare verkauft); Feesches Gedichte fanden auch als Postkartentexte Verbreitung.

*https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Feesche 24.feb2020 ; zitierte Gedichtbände im Privatbesitz des Autors

Dazu Auszüge aus zwei Bänden, veröffentlicht über die hier beschriebene Zeit und das Leid aus Waffengewalt.

hf f 04 Aus dem Band von 1918: „Vom segnenden Leid in harten Zeiten“

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hf f 06Aus: „Vom Leben, Lieben und Leiden“, Hannover 1920

 

Zeitungsbericht aus dem Gemeindearchiv Hünxe
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