# Das Streikrecht und die Lage der Arbeiter in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ...
Die Arbeiter machten immer wieder die Erfahrung, dass nach erfolgreichem Kampf um bessere Arbeits-bedingungen und Entlohnung, die Arbeitgeber ihre Zusagen nicht einhielten. Um hier ausreichend Ge-wicht zu bekommen, organisierten sie sich zunehmend in Verbänden, in Parteien und Gewerkschaften.
Mit der Ablösung des Kaiserreichs im November 1918 wurde der Streik als Kampfinstrument akzeptiert, von der "Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands" unterzeichnet und im Reichsanzeiger veröffentlicht. Die Gewerkschaften wurden Ende 1918/ Januar 1919 als "berufene Vertreter der Arbeiterschaft" in den Verhandlungen mit den Arbeitge-bern gesetzlich erlaubt und anerkannt. Außerdem wurde das uneingeschränkte Koalitionsrecht, Arbei-terausschüsse, Schlichtungswesen und Kollektivverträge zur Regelung der Arbeitsbeziehungen garan-tiert. Ebenso wurde der Achtstundentag akzeptiert.
In der Weimarer Republik war der Streik das wichtigste Kampfinstrument der Arbeiterschaft im Ringen um erträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, seit etwa 1918 zudem Ausdruck politischer Ziele. Auch hinter „klassischen" Streikforderungen konnte sich die Verteidigung der sozialen Errungenschaften und damit ein "politischer" Grund verbergen. Die Grenzen waren fließend.
Quelle: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Streiks_(Erster_Weltkrieg_und_Weimarer_Republik)
Zu Beginn der Weimarer Republik gab es viele und unterschiedliche politische Ideen, um soziale Verbes-serungen zu erreichen. Dies führte zur Zersplitterung in den sozialistischen Parteien und in den Gewerk-schaften. Die Richtungskämpfe innerhalb und zwischen den Parteien, Verbänden und Gewerkschaften wuchsen und es gab weitere Zersplitterungen. Zu Kompromissen war kaum jemand bereit. Dies schwäch-te die Position der Arbeiter in den Verhandlungen und führte erneut zu nachlassender Vertragstreue der Arbeitgeber.
Arbeitgeber schlossen sich zu immer größeren Konzernen zusammen. Die Mitwirkung der Arbeitnehmer sah man hier als notwendiges Übel. Die Arbeiter und ihre Kämpfe waren 1919/1920 belastet mit Erfah-rungen aus den Arbeitskämpfen mit Polizeieinsätzen seit 1910.
1920 verschärfte sich die Konfrontation erneut, es standen Bürgerwehr, Polizei und Reichswehr den Streikenden gegenüber. Die Auseinandersetzungen waren unversöhnlicher, zuletzt verzweifelt und für viele hoffnungslos, denn sie wurde zunehmend vermischt mit gesellschaftspolitischen Vorstellungen. Die Wahl zum Reichstag polarisierte die Wähler in Deutschland.
... und zur Zeit der Roten Ruhrarmee
Als es im März 1920 zum Kapp-Putsch in Berlin kam, schlossen sich im Ruhrgebiet spontan bewaffnete streikende Arbeiter zusammen. Begonnen hatte der Hass auf die Reichswehr und deren Übergriffe be-reits zu Jahresbeginn 1919. Genährt aus der Enttäuschung über die Vertragsbrüche der Regierung er-wuchs der Protest gegen die aktuellen Arbeitsbedingungen. Radikale Akteure verfolgten bald die Durch-setzung ihrer Forderungen mit Waffeneinsatz.
Der fehlende Wille zu einer gemeinsamen Verhandlungslösung aller Akteure zeigte sich rasch, der Schritt vom Streik über Verhandlungen hin zur Waffengewalt war kurz. Die militärische Drohung im Namen der Reichsregierung stand hinter den Verhandlungsführern und signalisierte: wir, das Militär, stehen für die Ordnung, die das bestehende System bot. Streiks bedeuteten Unruhe und gefährdeten diese Ordnung. Doch die Arbeiter waren politisch uneins, es war ein leichtes, Keile zwischen sie zu treiben und Zwietracht zu sähen.
# Vom sozialen zum politischen Kampf in der Weimarer Republik
Die Arbeitskämpfe um soziale Verbesserungen wurden zunehmend von Parteiinteressen gelenkt. Das politische Spektrum schwankte zwischen moderaten Reformen und einer Revolution. Zwischen diesen Extremen wurde im Reichstag in Berlin diskutiert. Beschlüsse mussten jedoch überparteilich und durch Mehrheiten gefunden werden. Da Mehrheiten immer wieder neu gesucht werden mussten, hielten Re-gierungen in der Weimarer Republik nicht lange.
Die Richtungskämpfe innerhalb und zwischen den Parteien, Verbänden und Gewerkschaften wurden zum Alltag und es gab weiter Zersplitterung. Mangels Kompromisslösungen führten sie zur Schwächung in den Verhandlungen.
Die Arbeitgeber sahen Anlässe für vertragstreue schwinden. Gleichzeitig nahm die Konzentration der Arbeitgeber in großen Konzernen weiter zu. Die Mitwirkung der Arbeitnehmer sahen die Unternehmer als notwendiges Übel. Die Arbeiter hatten gelernt, dass Zugeständnisse nicht immer eingehalten wurden. Auf beiden Seiten war die Grundlage für Vertrauen verloren.
Quellen: Feldmann, Gerald (1980): Arbeitskonflikte im Ruhrbergbau 1919-1923. Zur Politik von Zechenverband und Gewerkschaf-ten zur Überschichtenfrage" in: Vierteljahreshefte der Zeitgeschichte 28.Jg 1980 / April / Hg Bracher; Lohalm, Uwe, Zwei Ansich-ten zur Zusammenarbeit von Unternehmen und Gewerkschaften. In: Die Weimarer Republik 1918 bis 1933. 1984, Bd. 1, Quellen-heft, Beitrag Nr. 27
# „Bergarbeiter! Deutschland hat genug gelitten“ – Die Einstellung des Generals von Watter
Der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos VI für das Ruhrgebiet, General von Watter (weiterge-hende Informationen zur Person siehe unter Handlungsfeld E), erließ am 1. Februar 1920 mit einer Ver-ordnung strenge Maßnahmen gegen streikende Bergarbeiter:
„Die Notwendigkeit der zweckmäßigen Bekanntmachung der Streikgefahr im Bergbau erfordert vo-rübergehend besondere Maßnahmen. Deshalb sind den nachstehenden Behörden auf Anordnung des Militärbefehlshabers und des Regierungskommissars folgende Weisungen zu geben:
1. Belegschaftsversammlungen der Bergarbeiter sind bis auf weiteres verboten ...
2. Streikpostenstehen ist verboten …
3. Von den Zechenverwaltungen wird im Falle eines Streiks oder einer Aufstörung den in Betracht kom-menden Gemeindebehörden eine Liste derjenigen Arbeiter überreicht, die für die Leistung von Not-standsarbeiten in Frage kommen.
Die Aufforderung an die Arbeiter zur Leistung von Notstandsarbeiten hat unter Hinweis auf die Strafbe-stimmungen des Militärbefehlshabers vom 12.1.1920 unverzüglich zu erfolgen. Arbeiter, die der Auffor-derung keine Folge leisten, sind sofort zur Anzeige zu bringen, in dringenden Fällen in Haft zu nehmen...“
Parallel dazu erließ dieselbe Person, der Befehlshaber des Wehrkreises VI., am 1. Februar 1920 folgenden Aufruf:
„Bergarbeiter!
Deutschland hat genug gelitten.
Überlegte Volksverderber haben einen Teil von Euch bewogen, gerade jetzt zu einem Zeitpunkt wirt-schaftliche Forderungen aufzustellen, wo ihre Erfüllung gleichbedeutend wäre mit völligem Zusammen-bruch des Wirtschaftslebens.
Darum wird die Regierung in ihrer ablehnenden Haltung fest blieben, und wenn es notwendig sein sollte, alle ihr zu Gebote stehenden Machtmittel zur Durchsetzung ihres Willens anwenden.
Bergarbeiter! Die Maßnahmen der Regierung zur Erhaltung Deutschlands sind getroffen. Ich werde gege-benfalls diese mir zur Verfügung stehende starke Macht auf Befehl der Regierung mit rücksichtsloser Strenge einsetzen. Wer das mit mir zu vermeiden wünscht, tue seine Pflicht indem er die schwachen und der Verführung zugänglichen Kameraden von unüberlegten Handlungen abhält und verantwortungslose Drahtzieher den Behörden namhaft mach und so der öffentlichen Bestrafung überantwortet.
Der Befehlshaber des Wehrbezirkes VI.
gez. Frhr. von Watter, Generalleutnant“
# Aufruf zum Generalstreik in Berlin - 13. März 1920+
Die Antwort der Bergarbeiter auf die wirtschaftliche Situation, den Kapp-Lüttwitz-Putsch und das Verhal-ten des Militärs ist der Generalstreik. Der Bankier Siegfried Aufhäuser (1884-1969), SPD Mitglied und seit 1912 gewerkschaftlich organisiert, und der Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes Carl Le-gien (1861-1920) rufen am Nachmittag des 13. März 1920 gemeinsam zum Generalstreik gegen den Kapp-Putsch auf und organisierten ihn: „Die deutsche Republik ist in Gefahr!“ 12 Millionen Menschen folgen diesem Aufruf verschiedener Organisationen. Der Generalstreik trug mit zur Niederschlagung des Kapp-Putsches bei und endet am 22. März 1920.
Gerhard Colm schrieb rückblickend dazu:
# Die Streiklage im März 1920 im Spiegel der Hamborner Volkszeitung
Letzte Nachrichten. Die Selbsthilfe des Westens
Essen, 16. März 1920. Die Arbeitsgemeinschaft für den Ruhrkohlenbergbau verurteilt entschieden die gewaltsamen Regierungs- und Verfassungsänderungen und die Vorgänge in Berlin. Durch diese Vorgänge ist der Ruhrkohlenbezirk mit seinen industriellen Nachbargebieten in eine äußerst gefährliche Lage ge-kommen, da er bei dem ausgebrochenen Generalstreik von den Lebensmittelproduktionsgebieten abge-schnitten werden kann. In dieser Notlage zur Errettung der Bevölkerung vor der unmittelbar bevorste-henden Hungersnot und der Sicherung eines in Zukunft aufnahme- und produktions- ....
Zur Streiklage
Essen, 18. März 1920. Es wird weiter gemeldet, daß in der gestrigen Frühschicht die Belegschaften von 20 Schachtanlagen wird wieder voll eingefahren sind. Insgesamt wurde auf 27 Schachtanlagen wieder voll gearbeitet. Die Zahl der Ausständischen ist von 83,32 Prozent der Gesamtbelegschaften in der Früh-schicht am Dienstag auf 71 Prozent in der gestrigen Frühschicht zurückgegangen. Von verschiedenen Sei-ten wird gemeldet, daß die Belegschaftsversammlungen beschlossen heute die Arbeit wieder aufzu-nehmen.
# Die Arbeiter im Ruhrgebiet nach dem Generalstreik
Der Streik im Ruhrgebiet führte über kurzfristige Siege der Roten Ruhrarmee in einen Bürgerkrieg. Mit militärischen Mitteln stellte am Ende die Reichswehr im Auftrag der Reichsregierung die Ordnung im Ruhrgebiet wieder her. Die politische Antwort darauf gab die Bevölkerung in den Reichstagswahlen im Juni 1920. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_1920.